Sophia Kirchhoff, am heutigen Freitag exakt 27 Jahre alt, ist „Perle des Monats“ Februar
von Matthias Vogel
Ihr heutiger Geburtstag alleine reicht freilich nicht zu diesem Titel. Dazu braucht es schon besondere sportliche Leistungen. Und die kann die Torhüterin von Borussia Pankow, aktueller Tabellendritter der Berlin-Liga, fürwahr vorweisen. Erst vier Buden hat sie während dieser Spielzeit kassiert und ihre Trainerin Josi Ruß sagt: „Sie ist in einer unglaublichen Form!“
„Moment einmal!“ könnte in Anbetracht der Pankow’schen Tordifferenz ausgerufen werden. „48:8, das sind doch acht Gegentore!“ Richtig, allerdings hütete beim enttäuschenden 4:4 der Borussia gegen die Spandauer Kickers nicht Kirchhoff, sondern Josi Ruß selber das Tor. Und die verbleibenden vier Treffer musste die etatmäßige Torhüterin allesamt gegen den Klassenprimus Union II hinnehmen – wahrlich keine Schande.
Zugegeben: Es ist keine Neuheit, dass die künftige Lehrerin für Sonderpädagogik und Sport auf Verbandsebene zu den besseren Vertreterinnen ihrer Zunft zählt. Spätestens seit der Saison 2018/2019 wissen das all diejenigen, die sich für den Berliner Frauenfußball interessieren. Damals wurde sie nämlich über den Berliner Fußball-Verband zur besten Torhüterin gewählt. Doch nun in 14 Verbandsliga-Spielen nur viermal hinter sich greifen zu müssen, das ist schon eine Marke.

Die Borussia hatte vor der Saison den Gewinn der Meisterschaft auf dem Wunschzettel. Das ist durchaus immer noch möglich, auch wenn Union übermächtig scheint und der FC Hertha 03 Zehlendorf seine Ambitionen auf den Aufstieg mit dem aktuellen zweiten Rang im Tableau dick unterstrichen hat. Das ist nicht zuletzt eben auch ein Verdienst von Kirchhoff. „Auch wenn unsere Abwehr gut steht: Wenn sie etwas zu tun bekommt, ist sie auf dem Posten. Selbst wenn es erst in der 80. Minute ist.“ Eine Qualität, die sicher sogar Torwart-Titan Oliver Kahn als besonders herausstellen würde.
Bei wem sich die Trainerin und der Rest des Teams nun bedanken müssen, Sophia Kirchhoff zwischen den Pfosten stehen zu haben, ist nicht eindeutig. Eine Grußkarte darf auf jeden Fall an die Macher des Kinofilms „Wilde Kerle“ gehen. „Da gab es ja die Vanessa im Team und ich erinnere mich, dass der Film bei uns an der Grundschule eine große Fußballlust in der ganzen Klasse ausgelöst hat“, sagt Kirchhoff. „Überhaupt hat in dieser Zeit – um das Jahr 2005 herum – der Frauenfußball meiner Wahrnehmung nach richtig Fahrt aufgenommen.“
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Ein dickes Dankeschön haben auch Kirchhoffs Eltern verdient, weil sie ihrem „eher zappeligen“ Kind Sophia erlaubten, nach der Ergotherapie einem Fußball-Team beizutreten, um dem Bewegungsdrang weiterhin Herr zu bleiben. Über eine Schachtel Pralinen könnte sich des weiteren ihr erster Trainer beim SG Lispenhausen/Breitenbach – Kirchhoff stammt aus Hessen – freuen. Er steckte sie nämlich in den Kasten des neu gegründeten, ersten Mädchen-Teams im Vereins. „Eigentlich hatte ich überhaupt keinen Bock auf das Tor. Aber ich hab‘ dann relativ schnell gemerkt, dass ich es einfach gut finde, hinter dem Ball her zu hechten“, sagt sie und lacht. Sie kann sich auch den Grund dafür erklären: „Ich glaube zum Torhüter-Dasein gehört eine Portion Draufgängertum. Und die hatte ich wohl.“
Die Verantwortlichen des Hessischen Fußball-Verbandes, die Kirchhoff erst in die Kreis- dann in die Bezirksauswahl und schließlich für die Sichtung zur Hessenauswahl beriefen, dürften ruhig ein paar Blümchen vor die Tür bekommen. Sie haben schließlich auch zur Entwicklung Kirchhoffs beigetragen. Zu guter Letzt darf sich Ruß aber auch selber auf die Schulter klopfen. Kirchhoff heuerte mit Beginn ihres Studiums zwar schon im Jahr 2015 der Borussia an, war allerdings zwischendurch auf Abwegen. Sie setzte erst aus und schloss sich dann dem SC Charlottenburg als Feldspielerin an. „Wir haben uns mit Pankow immer um den vierten, fünften Platz herum bewegt. Irgendwie hat mir Fußball zu dieser Zeit keinen Spaß mehr gemacht“, sagt die Torhüterin. Als Ruß dann im Winter 2018 als Coach der Borussia startete, war eine ihrer ersten Diensthandlungen, Kirchhoff zurückzuholen. Die Argumente der Trainerin: „Wir haben ja auch Cordula Busack als Torhüterin geholt und so konnten die beiden sich abwechseln. Das bedeutete für Sophia weniger Druck.“
Auf das richtige „Handling“ kam es an
„Na ja“, relativiert Kirchhoff und feixt ins Telefon. „Cordel war ja gerade mal zwei Wochen da. Aber es stimmt. Unter Druck rufe ich nicht meine besten Leistungen ab. Bei der Sichtung zur Hessen-Auswahl damals hatte ich einen megaschlechten Tag und bislang konnte ich mich gegen Union auch noch nicht von meiner besten Seite zeigen.“ Ohne Busack war Kirchhoff zwar wieder dauerhaft als Nummer 1 in der Pflicht, „aber wenn sie mal am Wochenende nicht kann oder im Training mal als Feldspielerin kicken will, dann lasse ich sie auch. Sie braucht das“, schildert Ruß das „Handling“ ihrer Torhüterin. Seither ist Kirchhoff kurioser Weise mit jeder Menge Ehrgeiz auf dem Fußballplatz an der Pichelswerder Straße unterwegs, lässt kaum eine Trainingseinheit ausfallen. „Das kann ich mir selbst nicht erklären. Das ist schon seltsam“, sagt sie. Auch zwischenmenschlich ist Kirchhoff für Ruß die Nummer 1: „Ich kenne niemanden, der sie nicht mag. Und sie sorgt immer für gute Stimmung in der Kabine.“
„Ohne Druck zum Spaß“, lautet also die Kirchhoff’sche Maxime. Zupass kommt ihr dabei sicher, dass man sich im Lager der Borussinnen noch immer nicht zu einem möglichen Aufstieg positioniert hat. So kann sie befreit aufspielen, das, was sie am liebsten mag. Ihr Draufgängertum hat sie sich dabei offenbar bewahrt, jedenfalls lässt die Expertise ihrer Trainerin „im Mitspielen und Bälle ablaufen ist sie überragend. Da macht sie echt oft den Neuer bei uns“ darauf schließen. Ruß ergänzt: „Sie ist fast komplett würde ich sagen, besser geht es in der Berlin-Liga kaum.“ Das „fast“ in ihrem Lob ist der Spielverlagerung geschuldet. „Da bin ich nicht so gut“, stimmt Kirchhoff zu, „aber wir arbeiten daran.“

Wenn es einmal läuft, dann läuft’s. Beim 6:0-Sieg bei BSV GW Neukölln erzielte sie mit einem Abschlag den dritten Treffer für Pankow. „Von diesem Tor distanziere ich mich. Bloß nicht aufbauschen. Ich weiß bis jetzt nicht, wo der hinsollte. Dazu hatte ich mächtig Rückenwind und der Ball sprang dann auf dem klitschnassen Boden eben über die Torhüterin drüber. Da konnte ich wenig dafür“, wiegelt Kirchhoff ab. Genauso wenig fühlt sie sich alleine verantwortlich für die wenigen Gegentreffer: „Unsere Verteidigung steht mordssicher in diesem Jahr, es wird echt kaum heiß vorm Tor. Ich bin nur die Feuerwehrfrau, die löscht, wenn’s wirklich mal brennt.“
Trotz aller Bescheidenheit hat Kirchhoff schon noch ein großes Ziel vor Augen: „Wir sind ja schon ein älteres Team und deshalb müssten wir uns einen Aufstieg gut überlegen, wenn es denn so käme. Aber auf jeden Fall wollen wir die beiden Teams vor uns noch kräftig ärgern, wollen mitentscheiden, wer aufsteigen darf. Ferner möchte ich noch möglichst lange in diesem Team mit Spaß Fußball spielen.“
Schon am kommenden Sonntag ist die Herausforderung für Borussia Pankow enorm. Zum Topspiel wird der Tabellenvierte Berolina Mitte erwartet, der zuletzt Hertha eine schmerzliche Niederlage beibrachte. Kirchhoff will wieder die Null halten, Anpfiff ist um 15.15 Uhr. Unabhängig vom Ergebnis dieser Partie steht es in den Sternen, ob und was die Torhüterin am Ende der Saison feiern kann: Meister, Vizemeister, Torhüterin des Jahres? Einen Titel kann Sophia Kirchhoff jedenfalls schon jetzt keiner mehr nehmen: „Perle des Monats“.
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