Der Kreuzberger Krake

Mit spektakulären Neuverpflichtungen lässt der Regionalligist Türkiyemspor Berlin keinen Zweifel aufkommen, wohin er möchte: 2. Bundesliga

von Matthias Vogel

Mehr als ein halbes Dutzend Hochkaräter haben sich zur neuen Saison den Kreuzberger Fußballerinnen angeschlossen, nicht wenige vom Liga-Konkurrenten 1. FC Union Berlin. Es scheint, als solle für Murat Dogan, Architekt des über Jahre hinweg steten Erfolgs von Türkiyemspor, die Regionalliga Nordost nur als Zwischenstopp herhalten.

Ist Dogan jetzt ein überragender Trainer? Oder einer der besonders gut delegieren kann – Typ Manager? Kann er sich – womöglich ob seiner früheren Funktion als Spieler der Herren-Elf – innerhalb des Vereins besonders gut behaupten? Oder ist er ein blendender Netzwerker? Man weiß es nicht genau, es ist wohl von allem etwas. Jedenfalls läuft es glatt für den 45-Jährigen und sein Lebenswerk – den Frauenfußball bei Türkiyemspor Berlin nach oben zu bringen. Vor Corona gelang ihm nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem SC Staaken der Aufstieg in die Regionalliga. Dort bezahlten sein Team und er zum Teil Lehrgeld, zum Teil schien die Entourage aus Kreuzberg aber auch gut angekommen. Etwa, als sie dem Liga-Schwergewicht FC Viktoria 1889 Berlin im heimischen Katzbach-Stadion das Leben nicht nur schwer machten, sondern auch gut und gerne hätten gewinnen können. Am Ende hieß es: Blechen in die Lehrgeld-Kasse – 0:1.

23 Jahre alt und Cheftrainer eines Spitzenteams der Regionalliga Nordost: Deniz Corr bei der Besprechung nach dem Test gegen Hohen Neuendorf. Foto: Matthias Vogel

Offenbar will Dogan aber nicht mehr einzahlen. Wie ein Krake sammelte Türkiyemspor Spielerinnen ein, die den Kader nicht nur ergänzen, sondern ganz massiv verstärken. Bis nach Köpenick reichen die Tentakel aus Kreuzberg – von Union setzten Josephine Bonsu, Lena Wolter, Pia Zander-Zeidam, Alexandra Almasalme und Luisa Neuwald ihr Servus unter den neuen Vertrag. Dazu kommen noch Angelina Lübke und Christin Janetzki vom FC Phönix Leipzig nach Kreuzberg, zwei regelrechte Transferhammer. Zusammen mit Marlene Haberecht trugen die beiden vor zwei Jahren maßgeblich zum Aufstieg der Leipziger in die Regionalliga bei. Nun sind sie nach Berlin gezogen und waren auf der Suche nach einer neuen sportlichen Heimat, da musste einer der kräftiger ausgeprägten Fangarme natürlich zupacken.

„Networking“ heißt das Zauberwort

Positive Begleiterscheinung des Muskelspiels: Auch ein nominell kleinerer Fisch wurde mitgerissen in den Schlund des Polypen: Mayumi Loredo Ahoki wechselte von der Zweiten des FC Viktoria 1889 Berlin an die Blücherstraße. Dogan: „Eigentlich war die Kaderplanung abgeschlossen und ich schon im Urlaub. Aber die Jungs haben mir gesagt, sie trainiert gut mit – und jetzt ist sie eben dabei.“

Ob es eine Aufwandsentschädigung für die Spielerinnen gebe? Diese enorme Sogwirkung des Vereins muss die Frage erlauben. Dogan winkt ab. „Nein. Die Mädels werden bei uns gut ausgerüstet, das war’s.“ Den wahren Grund für die Fülle an neuen begabten Spielerinnen sieht Dogan tatsächlich im Networking – wenn auch nicht in seinem. „Erika Szuh und Angie Lübke haben beispielsweise früher zusammengespielt und Josi Bonsu hing ohnehin oft mit unseren Spielerinnen zusammen.“ Man kenne sich einfach. „Und die Mädels sehen eben, dass sich bei uns etwas entwickelt.“

Der eigentliche Knüller zur neuen Spielzeit ist aber, dass Murat Dogan die sportlichen Geschicke der Türkiyemspor-Frauen nach einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr selber in den Händen halten mag beziehungsweise kann. Der neue Verantwortliche an der Seitenlinie heißt Deniz Corr und ist erst 23 Jahre alt. „Ich kenne ihn von klein auf und seine Inhalte sind überzeugend“, sagt Dogan. „Er kann die Defizite, die ich als Trainer habe, aufarbeiten.“ Unterstützt wird der junge Coach von Amadou Konde, der wiederum seinerseits die zweite Garnitur – nun U23 – möglichst schnell aus der Bezirksliga in die Landesliga führen soll.

Das sind sie also, die „Jungs“, die Dogan meint und die ihm Luft für alles andere verschaffen sollen, was der Spielbetrieb in der Regionalliga so mit sich bringt. Denn eigentlich, das gibt er zu, sei die Arbeit als Trainer schon der Grund für sein Engagement. „Diese 90 Minuten am Spieltag, darauf arbeitet man hin, darum geht es!“ Deshalb sei sein Rücktritt als Übungsleiter eine reine Kopf- und keinesfalls eine Bauchentscheidung gewesen. „Der Aufwand in der Regionalliga ist groß. Es gibt viel zu organisieren, Sponsoren müssen betreut werden und vieles mehr. Dazu bin ich Kassier des Vereins. Das muss alles gemacht werden und kostet Zeit.“

Angelina Lübcke (großes Bild) und Josi Bonsu (rechts unten) machten ihren ersten Treffer für den neuen Club, Luisa Neuwald eine solide zweite Hälfte. Fotos: Matthias Vogel

Den Zeitpunkt, sich um Bündelung von Kräften bei Türkiyemspor zu kümmern, sportlich oder administrativ, hält Dogan übrigens für ideal. „Ich habe das Gefühl, die Zeit ist reif, man muss jetzt richtig in den Frauenfußball investieren. Ich weiß nicht, ob das in einem Jahr noch so ist und dann könnte der Zug ohne uns abgefahren sein.“

Das erste Testspiel gegen den Liga-Konkurrenten SV Blau-Weiß Hohen Neuendorf gewann Türkiyemspor schon einmal recht souverän mit 6:2 (3:0) und angesichts der Startformation der Kreuzberger Fußballerinnen dürfte der eine oder andere Coach der Regionalliga die Stirn in Falten legen. Es ist ja nicht so, dass Türkiyemspor vor den ganzen prominenten Neuzugängen unbewaffnet dahergekommen wäre. Und wenn auf einem Spielberichtsbogen Aylin Yaren, Lübcke, Janitzki, Szuh, Bonsu, Wolter und Almasalme untereinander zu lesen sind, dann macht das schon was her. Die Auswechselbank hat dann auch noch die Stärke einer kompletten Elf und wohl dem Trainer, der in der zweiten Hälfte eine Sanna El-Agha, Luisa Neuwald, Karla Krüger oder schnelle Youngster wie Hanna Ayad bringen kann

Christin Janitzki ist definitiv eine Bereicherung für die Liga, sie verstärkt die Defensive von Türkiyemspor. Foto: Matthias Vogel

Belege, welche Qualität das aus tollen einzelnen Fußballerinnen bestehende Corr-Kollektiv tatsächlich haben wird, werden die weiteren Testspiele gegen Bero (1. August), Borussia Pankow (8. August), Hertha Zehlendorf (14. August), Inter (15. August) und den 1. FC Union Berlin (22. August) liefern. Ernst wird es am 29. August. Dann steht das erste Punktspiel der Regionalliga auf dem Plan – gegen Hohen Neuendorf.

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