Nur eine einzige Variable

von Matthias Vogel

Hier steht der Zug in Richtung Tabellenspitze bereits sauber auf dem Gleis, dort ist beim Neuaufbau eines konkurrenzfähigen Regionalliga-Teams noch jede Menge Sand im Getriebe. Auf dem Blatt ist der FC Viktoria 1889 Berlin turmhoher Favorit beim Gastspiel auf dem „Sterner“. Allerdings hat der heimische SFC Stern 1900 in den jüngsten Auflagen des Bezirksderbys dem mächtigen Nachbarn immer das Leben schwer gemacht.

Zuletzt sogar richtig schwer. In der Vorrunde der abgelaufenen und dann durch Corona abgebrochenen Spielzeit hatte Emina Wacker einen Konter zur Führung für Stern gemünzt, fortan lief die Viktoria dem Rückstand hinterher und erzielte in der letzten Spielminute gerade noch den Ausgleich durch Hülya Kaya.

Kerstin Gohlke hat sich nach ihrem Comeback bei Stern zur Führungsspielerin gemausert. Foto: Matthias Vogel

Die Vorzeichen für das Spiel heute – Anstoß ist um 14 Uhr – sind komplett andere. Das fängt schon bei den jeweiligen Top-Torschützinnen an. Wacker weilt im Urlaub, Kaya plagen Knieprobleme. Dazu musste Sterns neuer Trainer Johannes Fritsch einen heftigen personellen Umbruch aufarbeiten. „Und dieser Prozess ist einfach noch nicht abgeschlossen“, sagte er nun vor der Partie. Das würde sich zum einen in den beiden Niederlagen gegen die beiden Aufsteiger Rostocker FC (1:2) und FSV Babelsberg 74 (0:1) widerspiegeln, obwohl beide Begegnungen auf die Steglitzer Seite hätten kippen können. „Beide Spiele waren sehr ausgeglichen, wir sind für unsere Fehler allerdings eiskalt bestraft worden“, so Fritsch. Zum anderen hake es aber auch im Training ein wenig. „Ich merke schon, dass es vorangeht, aber eben langsam.“

Es fehlen noch Zutaten beim SFC

Eine Prise Verletzungen hier, eine Messerspitze traditionelle Reisefreudigkeit dort, dazu Frust-Topping oben drauf: In Sophia Denney hat ein hoffnungsvoller Neuzugang bereits wieder die Segel gestrichen, sie hat ihren Traumjob in München gefunden – fertig ist sie, die Rezeptur für die Sterner Startaufstellung. „Wir haben ein paar Angeschlagene dabei und zwei, drei Spielerinnen aus der Zweiten“, so Fritsch. „Wir wollen uns heute nicht überrollen lassen und ein anständiges Bild abgeben. Wenn mehr herausspringt, wäre das eine Überraschung. Und ich sage das nicht, weil ich tiefstapeln möchte.“

Fuß gefasst: Maria Kleindienst, zu Saisonbeginn innerhalb der Bezirksgrenzen gewechselt, ist auf der linken Sterner Abwehrseite gesetzt. Foto: Matthias Vogel

Bei der Mission „Haut teuer verkaufen“ setzt Frisch auf die Komponente „Derby-Charakter“. „Viele unserer Mädels waren ja vorher bei der Viktoria. Sie sind schon heiß auf das Spiel, so ist das nicht.“ Maria Kleindienst, Alexia Boldt sowie Maren Gaese trugen alle in der vergangenen Spielzeit noch himmelblau, auch Paula Eigenberger, der allerdings im Dienste von gelb-blau das Kreuzband gerissen ist. Und dann ist da noch Kerstin Gohlke, die den bezirksinternen Wechsel schon vor längerer Zeit vollzogen hat, erst in der Sterner Zweiten wieder neu startete und sich in jüngster Zeit zur Führungspersönlichkeit der Ersten mauserte. „Eine sehr komplette Spielerin, die sich in der Vorbereitung hervorgetan hat“, lobt Fritsch.

Perspektivwechsel:

„Stooooopp!“ Roman Rießler unterbricht im Abschlussspiel am Freitag einen Angriff. Er scheucht seine Außenspielerinnen weiter raus auf den Flügel. „Breit macheeeeen Meeensch! Am Sonntag werden wir nicht so viel Platz habeeen!“ Wenn der Trainer der Viktoria lauter wird und die Vokale in die Länge zieht, dann sollten die Spielerinnen lieber tun, was er sagt. Das machen sie auch, am Ende ist Rießler mit der Einheit zufrieden. Zum Liga-Auftakt hat sich seine Elf auch gleich wieder als Favorit in der Nord-Staffel der in diesem Jahr zweigeteilten Regionallliga in Position geworfen: Zu Buche steht ein 1:0-Arbeitssieg beim starken Aufsteiger Türkiyemspor und ein 9:1-Kantersieg gegen einen völlig überforderten Rostocker FC.

Visier hoch! Führungsspielerin Tatjana Fandre glaubt fest an den Sieg der „Viki-Girls“. Foto: Matthias Vogel

Dennoch: Das Anziehen der Zügel im Abschlusstraining war für ihn unabdingbar. Er nehme das Spiel sehr ernst, nicht zuletzt wegen der Variablen namens Derbycharakter. „Wer glaubt, wir hätten das Ding schon gewonnen, der sitzt im falschen Zug“, sagte er am Freitag. Und: „Für uns ist diese Partie aus mentaler Sicht schwerer als das DFB-Pokalspiel am kommenden Wochenende in Bochum. Gewinnen wir deutlich, sagen alle: War ja klar! Tun wir uns schwer, füllen sich die Köpfe mit der Frage: Was ist denn da los?“

Rießler erwartet einen hoch konzentrierten Auftritt seiner Mannschaft, denn nur wer auf dem „Sterner“ anständig erledige, sei bereit für die Kür im Bochumer Ruhrstadion. Eine seiner Führungsspielerinnen – Tatjana Fandre – hatte am Samstag am Rande des DFB-Pokal-Auftritts vom BSV GW Neukölln das dazu passende Bauchgefühl: „Wenn wir unsere Qualitäten auf den Platz bringen, sollten wir klar gewinnen. Das Abschlusstraining war gut. Und ich hoffe, dass wir aus dem Derby aus der vergangenen Saison gelernt haben und den Gegner auf keinen Fall unterschätzen.“

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von Anders Noren.

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