von Matthias Vogel
Das Regio-Debüt der Türkiyemspor-Fußballerinnen war ein Volltreffer, so viel steht fest. Der Aufsteiger lieferte sich mit Berlins Top-Team FC Viktoria 1889 vor 150 Zuschauern ein packendes Duell auf Augenhöhe. Ein Sieg war greifbar für ihn, aber er hat nicht zugepackt. Und deshalb setzte sich der Erfahrungsschatz der Himmelblauen durch im Katzbach-Stadion: 0:1.
Viki-Coach Roman Rießler zog kurz vor dem Start in die zweite Hälfte – es stand 0:0 – die Augenbrauen besorgt in die Höhe und sagte: „Richtig schwer heute.“ Türkiyemspor hatte seinem Team grade 45 Minuten so richtig zugesetzt, hatte optisches Übergewicht und auch die besseren Chancen. Die dickste verzeichnete Urgestein Sanna El-Agha, die sich im Eins-gegen-eins mit FC-Keeperin Julia Haake znetral an der Strafraumkante wiederfand, den Ball aber nicht nur über ihre Kontrahentin, sondern auch über das Tor setzte. „Den macht sie normalerweise blind“, urteilte Hülya Kaya, verletzte Spitzenstürmerin der Gäste nach dem Spiel. Noch einmal hätte Türkiyemspor die Weichen auf Sieg stellen können: Erika Szuh verzog aber aus aussichtsreicher Position.

Pause, Rießler kniete mit der vor ihm liegenden Taktiktafel auf dem Rasen, umrundet von seinen Schützlingen. Guter Rat war teuer gegen die beherzt aufspielenden und von einer nicht in den Griff zu bekommenden Aylin Yaren angeführten Kreuzberger Truppe. Was auch immer besprochen wurde, es hätte in den ersten fünf Minuten des zweiten Durchgangs locker zur Makulatur verkommen können. Denn – herzlich eingeladen von Haake -, die kurz zuvor die Chance hatte, den Angriff zu beenden, kam Yaren auf halblinker Position frei zum Schuss. Haake machte sich richtig groß und bügelte den Fauxpas sofort wieder aus. Kurz darauf hatte die eingewechselte Lena Cassel noch eine Riesenchance für Türkiyemspor, ihr Schlenzer von der Strafraumkante aus trudelte knapp am linken Pfosten des Viktoria-Gehäuses vorbei.
„Was für ein Scheiß-Tor!“
Fußball ist bekanntlich fies. An diesem Tag war er es aus Kreuzberger Sicht auch. Der großartig aufspielende Viki-Youngster Trinity Künzel zog in der 69. Minute vom linken Flügel nach innen und einfach mal ab. Ihr Schuss segelte – abgefälscht vom Rücken einer Kreuzberger Abwehrspielerin – unhaltbar über ihre bärenstarke Torhüterin Kevser Gündoglu hinweg zum Treffer des Tages ins Tor. Türkiyemspor-Coach Murat Dogan sagte nach dem Abpfiff: „Was für ein Scheiß-Tor!“ Die deftige Ausdrucksweise? Herrlich! Das Duell war geprägt von Emotionen, keinen Zentimeter auf dem Rasen gab auch nur eine Protagonistin der jeweiligen Gegnerin preis.

Von Anfang an hatte der Aufsteiger auf aggressives Pressing und aggressive Zweikampfführung gesetzt und damit dem erfahrenen Regionalliga-Team aus Lichterfelde den Kopf voll gemacht. Nach den beiden Top-Chancen von Yaren und Cassel begannen die Himmelblauen aber mehr und mehr, sich der Körperlichkeit zu stellen. Viktorias Team-Chef Peter Rießler sagte nach dem Spiel: „Das war ja noch nie unser Problem.“ Positiv zu vermerken: Schiedsrichterin Linda Kollmann behielt trotz der vielen harten Zweikämpfe ihre Linie bei. Die war zwar großzügig, aber gerecht.
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Sei es der psychische Knacks, den der unerwartete Gegentreffer ausgelöst haben könnte, oder aber der Umstand, dass Türkiyemspor ab der 70. Minute dem hohen Tempo der Partie Tribut zahlen musste: Fortan übernahm jedenfalls der Favorit endgültig das Kommando. Kurz nach ihrem Treffer traf Künzel die Latte. Später tauchten sowohl Corinna Statz, als auch Danya Barsalona völlig alleine vor Gündoglu auf, versiebten ihre Großchancen aber jeweils kläglich. Und Marlies Sänger prüfte die Torhüterin noch mit einem satten Fernschuss.

Murat Dogan hätte direkt nach dem Abpfiff dennoch am liebsten in den Rasen gebissen, weil seinem Team der ganz große Wurf nicht gelungen war. Kurz darauf klatschte er aber schon wieder mit allen seinen Spielerinnen ab. „Wir haben heute ein Zeichen gesetzt, waren ebenbürtig und hätten mindestens ein Unentschieden verdient gehabt. Damit hatte niemand gerechnet, Viktoria zählt schließlich seit Jahren zu den Spitzenteams der Stadt. Ich denke, der Sieg für sie war glücklich. Aber ich bin absolut zufrieden und denke auch, dass die anderen Teams in unserer Staffel sich gegen uns warm anziehen müssen.“
Roman Rießler erwies Türkiyemspor Respekt: „Ganz so stark hatte ich sie nicht erwartet.“ Der Sieg seiner Elf sei auf der anderen Seite auch dem Standing eines etablierten Regionalligisten geschuldet. „In der Berlin-Liga denken El-Agha, Yaren und Szuh nicht nach, wenn sie vor der Kiste stehen. Jetzt eben schon. Wir sind geduldig geblieben und ab der 70. Minute hat mein Team heute auch klar gemacht, dass nichts mehr geht für Türkiyemspor. Aber ich gebe Murat Recht, es war ein glücklicher Sieg.“ Für Murat Dogan war wiederum diese Expertise nachvollziehbar: „Meine Mädels waren schon nervös heute.“
Der eine mehr happy, der andere weniger – aber beide Coaches lobten eine sehr schnelle, hochklassige Regio-Partie. „Das war Werbung für den Frauenfußball“, so Dogan.
Türkiyemspor Berlin – FC Viktoria 1889 Berlin 0:1 (0:0). Kreuzberg: Gündoglu, Wagner, Badem, El-Agha, Toktas (75. Solmaz), Michalke, Szuh, Yaren, Aydin (60. Arslan), Yavuz (46. Cassel), Hartwig. Lichterfelde: Haake, Statz, Lux, Dey, Grosch, Sänger, Gerken, Sange, Reh (46. Shigjeqi, 85. Zietz), Barsalona (82. Steinmeyer), Künzel (90.+1., Agac). Tor: 0:1 Künzel. Schiedrichtergespann: Kollmann, Hebbe, Krause.
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