DFB-Pokal und Gänsepelle

von Matthias Vogel

Die Fußballerinnen des BSV Grün-Weiß Neukölln haben im Halbfinale des Polytan-Cups die Sensation perfekt gemacht. Mit 5:4 nach Elfmeterschießen behielt die Elf des Trainers Norbert Sengstock gegen den Regionalligisten SFC Stern 1900 die Oberhand. Sensationell ist trotz des Klassenunterschieds weniger das Ergebnis, als vielmehr die Folge davon: In Neukölln tritt mal wieder ein Berlin-Ligist im DFB-Pokal an.

Chantal Brück wischte sich nach den 120 Minuten Spiel plus Elfmeterschießen eine zusätzliche, riesengroße Schweißperle von der Stirn. Beim Stand von 0:1 verballerte Neuköllns Kapitänin in der 93. Minute einen Elfmeter. „Zum Glück hat Julyne Höhns dann eine Minute später doch noch getroffen“, kommentierte sie erleichtert ihr Malheur. Die Dramatik, die sich zur vor Hitze schwirrender Luft auf dem Platz an der Johannisthaler Chaussee mischte, war enorm. Der Last-Minute-Treffer des Neuzugangs (SC Concordia) rettete Grün-Weiß in das Elfmeterschießen, dort hatte die Sengstock-Elf dann die besseren Nerven. „Ich bin einfach nur stolz auf das Team und diese Leistung. Im Elfmeterschießen haben wir uns dafür belohnt, dass wir das Spiel komplett dominiert hatten“, so Brück.

Angelique Bratschke verwandelte den entscheidenden Elfmeter für Neukölln. Foto: Matthias Vogel

Ganz lange sah es danach aus, als würde der Regionalligist die frühe Führung durch Kerstin Gohlke bis zum Ende verwalten können. Neuzugang Vera Dewjatkina trat aus dem Zentrum einen Ball in den Neuköllner Strafraum. Der rutschte noch irgendjemandem über den Schopf und landete dann Gohlke vor den Füßen: 0:1 (12.).

Was sich dann auf dem harten Kunstrasen abspielte bezeichnete der neue Sterne-Koch Johannes Fritsch, „als fußballerisch das Schlimmste“, was er in den vergangenen zehn Jahren in seiner Funktion als Trainer gesehen habe. „Neukölln hat eine Kerze nach der anderen geschlagen und gehofft, dass der Ball dann einmal irgendwo günstig landet“, so Fritsch. Slapstick-Einlagen, Kopfballduelle und Pressschläge in Serie hätten das Spiel bestimmt. Dabei wolle er den Gegner gar nicht abwerten, vielmehr gelte es, sich selber zu hinterfragen, warum man das Spiel nicht zurück auf den Boden geholt und planvoll Fußball gespielt habe. „Die ersten 25 Minuten hat es ja auch geklappt.“

Norbert Sengstock wollte es nicht auf seiner Mannschaft sitzen lassen, alleine für das „Hoch-und-weit“ verantwortlich gewesen zu sein. „Stern hat doch selbst nur mit langen Bällen operiert und keinen vernünftigen Spielzug zustande gebracht.“ Für den Trainer der Grün-Weißen, der nach dem Spiel erst einmal den Eimer voll Erfrischungswasser von Nele Becker über den Kopf gegossen bekam, war der Sieg „in jedem Fall verdient“, auch wenn ihm das Spiel seiner Truppe in der ersten Halbszeit auch nicht gefallen habe. In einem waren sich die Coaches jedenfalls einig, beide haben ihre Teams schon deutlich besser spielen sehen.

Ganz ohne guten Spielzug war Stern allerdings nicht unterwegs. Nach feiner Vorarbeit von Alexia Boldt über die linke Seite hatte Anne-Kathrin Seifert den Knock-out für Neukölln während der regulären Spielzeit auf dem Fuß – ihr Schuss strich am Tor vorbei. „Eine Großchance“, konstatierte Fritsch. Und so konnte das Glück für den Berlin-Ligisten seinen Lauf nehmen. Erst der verschossene Elfer, dann der Ausgleich. Einen langen Abschlag von Lisa Schrama konnte die Defensive nicht klären. Alina Kapheim kam in der Box zwischen zwei Sterner Abwehrspielerinnen an den Ball und legte ihn Julyne Höhns auf, und die versenkte die Kugel aus etwa 13 Metern Entfernung in die Maschen (94.). Sengstock freute sich: „Die Vorbereitung von Kapheim war einfach Weltklasse.“ Im Elfmeterschießen versagten dann bei Stern einmal mehr die Nerven als bei Neukölln und Angelique Bratschke verwandelte schließlich zum viel umjubelten 5:4.

„Ich habe einfach noch Gänsehaut von diesem Spiel!“

Weil der FC Viktoria 1889 Berlin sich in der vergangenen Saison als Tabellenzweiter bereits für die erste Runde des DFB-Pokals qualifiziert hatte und im ersten Pokal-Halbfinale gegen Union mit 1:0 die Oberhand behielt, beschert der Einzug ins Finale Grün-Weiß ebenfalls das Ticket für den bundesweiten Wettbewerb. „Das ist Wahnsinn. Es war nicht das schönste Spiel von uns, aber die Einstellung und der Wille zum Sieg waren da. Am Ende sind wir durch die kämpferische Leistung von allen und den Fleiß von Julyne und Alina in der zweiten Halbzeit belohnt worden. Das Gefühl im Polytan-Pokalfinale und die erste Runde DFB-Pokal spielen zu dürfen ist unglaublich“, sagte Laura Lück, zentrale Mittelfeldspielerin bei Neukölln, einen Tag nach der Sensation. „Und natürlich wären wir ohne unseren Support von draußen. Die Straße war komplett voll. Zusätzlich waren über 100 Leute im Livestream. Da hat man schon gemerkt, das der ganze Verein hinter uns stand.“ Chantal Brück teilte natürlich diese Gefühlslage: „Als Berlin-Liga-Team im DFB-Pokal zu sein, ist einfach unfassbar. Ich habe einfach noch Gänsehaut von diesem Spiel.“

Bereits am kommenden Samstag können Sengstock und seine Mädels die Kür laufen. Das Finale um den Polytan-Cup gegen Viktoria wird auf einem Nebenplatz im Jahn-Sportpark ausgetragen. Anpfiff ist um 13 Uhr.


BSV Grün-Weiß Neukölln – SFC Stern 1900 5:4 n. E.. Neukölln: Schrama, Kennin, Canning, Lück, Brück, Kapheim, Waibel, Hornung, Bratschke, Gesche (36. Schmalbein, 89. Brelle), Becker. Stern: Bartholdi, Patz, Kleinfeld, Schröder, Gohlke, Wacker, Armanious, Gaese, Dewjatkina (68. Schulze), Lange, Seifert (71. Boldt). Tore: 0:1 Gohlke (12.), 1:1 Höhns (90.+4), 2:1 Höhns, 2:2 Schröder, 2:3 Wacker, 3:3 Lück, 4:3 Brück, 4:4 Kleinfeld, 5:4 Bratschke. Schiedsrichtergespann: Baars, Gernert, Kummer.

Kommentar verfassen

von Anders Noren.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: