Ausverkauf am „Bero“

von Matthias Vogel

Mitte. Ist es Schiffbruch oder nicht? Traurig ist es, das steht fest. Mehr als ein Dutzend Spielerinnen des SV Blau-Weiß Berolina Mitte haben zum Saisonwechsel den Verein verlassen und verstärken nun die Liga-Konkurrenz oder andere Clubs der Stadt. Der Berlin-Ligist mit Sitz an der Kleinen Hamburger Straße kann zwar auf guten Nachwuchs zurückgreifen, dennoch sorgt der krasse Aderlass beim Bero-Architekten Andreas Weiss für ein Zwicken in der Magengegend.

Jahrelang führte der Weg von Berolina Mitte nach oben. Unter der Ägide von Trainer Ivo Haynk gelang dem Team der Aufstieg in die Landesliga und von dort der Durchmarsch in Berlins höchste Spielklasse. Haynk quittierte zwar dann bald den Dienst, dennoch ging es in der Berlin-Liga in den folgenden Jahren immer ein Stück weiter nach oben. Nun also dieser krasse Einschnitt, mit dessen Tiefe zumindest niemand rechnen konnte.

Auch „Die 17“ kehrt Bero den Rücken: Urgestein Vera Dewjatkina wechselt zum Regionalligisten SFC Stern 1900. Foto: Matthias Vogel

Kapitänin Sabrina Schrader wechselte zu Borussia Pankow, vielleicht folgt ihr noch Hannah Hetzer. Vera Dewjatkina zog es zusammen mit Marie Breitsprecher zum SFC Stern 1900. Ina van der Linde verlässt aus beruflichen Gründen Berlin, Susanna Pracht kehrt nach ihrer Odyssee vom SV Blau-Gelb über Türkiyemspor und Berolina zurück zu ihrem Ausgangspunkt: Landesligist FSV Hansa 07. Iryna Sorokovska und Hannah Herbst werden mit dem FC Internationale in Verbindung gebracht, auch munkelt man über einen Wechsel von Torjägerin Frieda Barck dorthin. Moabits Chef-Coach Martin Meyer vermeldet ein Probetraining von Mareike Methner im Poststadion und berichtet: „Sie schien sich wohl zu fühlen.“ Und so weiter, und so weiter – hier hört man von 13 Spielerinnen, die dem „Bero“ den Rücken kehren, dort gar von 16.

Andreas Weiss: „Es lag keinesfalls nur am Trainer!“

Trainer Stephan Marx, während des ersten Jahres in der Berlin-Liga nach dem Aus von Haynk als Interimslösung installiert und dann doch insgesamt über zwei Spielzeiten im Amt, soll dem Vernehmen nach zuletzt nicht mehr die anfängliche Akzeptanz seitens der Mannschaft genossen haben. Andreas Weiss sieht die Ursache für die erdrutschartige Abwanderung aber eher in einer Verkettung unglücklicher Umstände: „Wir haben schon gemerkt, dass die Mannschaft nach neuem Input verlangt, konnten aber nicht rechtzeitig einen Nachfolger benennen. Haynk war nochmals im Gespräch, hatte aber kurz vor Amtsübernahme aus familiären Gründen doch noch abgesagt. Es gab auch Reibungspunkte innerhalb der Mannschaft und die Corona-Pause hat dann ihr Übriges getan.“ Nun sei es so, wie es ist: „Einfach doof.“

Als eine der wenigen Leistungsträgerinnen will Katharina Vom-Dahl (re.) beim Neuaufbau helfen. Foto: Matthias Vogel

Mittlerweile hat wenigstens die intensiver Trainersuche Früchte getragen. Die Nachfolge von Marx wird Oliver Thomaschewski, 31, antreten, der einst im Männerfußball als Trainer tätig war, aktuell mit für den Ballsport an der TU-Berlin verantwortlich zeichnet und sich bei Bero beworben hatte. Ihm muss nun das Kunststück gelingen, aus einem ganzen Pulk junger Spielerinnen ein Team zu formen, dass in der Berlin-Liga bestehen kann. Immerhin bleibt ihm ein Gerüst bewährter Kräfte erhalten, um das er den Nachwuchs drapieren kann: Torhüterin Samantha Dauth, Abwehr-Fels Jessica Albrecht, Marta Kortaba, Vicky Kogan, Alex Drexler und Jo Meyer sowie die beiden Offensiv-Kräfte Mona Aping und Katharina Vom-Dahl halten dem Club die Treue.

Nur wegen seiner beständig guten Jugendarbeit kann Berolina den Schwund auffangen – jedenfalls bezüglich der Quantität. Andere Vereine hätten ihr Team sicher stehenden Fußes zurückziehen müssen. „Wir haben 45 bis 50 Frauen für die erste und zweite Mannschaft“, berichtet Weiss. „Sie sind gut ausgebildet, aber es fehlt ihnen natürlich an Erfahrung.“ Zudem müsse man nun auch erstmal Spielerinnen aus dem zweiten Glied für den Mehraufwand an vorderster Front motivieren. In der kommenden Saison wird man also einige Kickerinnen aus der zweiten Garnitur, die als Meister der Bezirksliga Staffel 2 gerade erst in die Landesliga aufgestiegen sind, in der Berlin-Liga sehen – zusammen genommen wohl ein kometenhafter Aufstieg.

Jessica Albrecht (Mitte) hat sich nicht von der Abwanderungswelle anstecken lassen und hält Berolina die Treue. Foto: Matthias Vogel

Eigentlich könnte es Weiss auch recht sein, ein wenig mehr Bero-DNA in den Frauen-Teams vertreten zu wissen. Welcher Club möchte nicht eines Tages die Früchte seiner Nachwuchsarbeit ernten? „Wir haben den Umbruch aber sicher nicht so schnell geplant und ich hätte den Ausverkauf gerne verhindert“, versichert er. Besonders der Weggang von Urgestein Vera Dewjatkina schmerze und auch mit dem Gebaren eines konkurrierenden Vereins in der schwierigen Situation ist er nicht einverstanden: „Der hat zusätzlich Jugendspielerinnen gezielt abgeworben.“

Beros Top-Talente werden gerne abgeworben

Eh ein Los, das sich Bero über die gute Jugendarbeit der vergangenen Jahre selbst in die Trommel geworfen hat. Die Top-Talente gehen während oder nach der Ausbildung gerne zu Vereinen, deren Erstvertretungen in der Regionalliga oder höher kicken. Erst kürzlich vermeldete etwa der 1. FC Union Berlin für die Frauenmannschaft Verstärkung aus der eigenen Nachwuchsarbeit. „Die kommen eigentlich von uns“, sagt Weiss. „Genauso wie Hannah Kratz, die gerade mit Union in der Bundesliga der B-Juniorinnen spielt und Luise Wildner, die zu Turbine Potsdam abgewandert ist.“ Der Bero-Macher will nicht jammern, es zählt auch für ihn das große Ganze. Allerdings würde er schon gerne mit seinem Team selbst in der Regionalliga spielen, um der eigenen Saat mehr Perspektive bieten zu können.

„Dieser Plan existiert durchaus, hatte aber in der vergangenen Saison noch gar keine Priorität“, sagt Weiss. Jetzt wurde er jedenfalls noch eine Schublade tiefer gelegt. „Unter diesen Umständen geht es für uns in der kommenden Spielzeit wirklich zu allererst um den Klassenerhalt.“ Ist die Abwanderung einer kompletten Mannschaft nun Schiffbruch oder nicht? Erst die neue Spielzeit wird es weisen.

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von Anders Noren.

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