von Matthias Vogel
Tolle Berliner Hallenmasters haben endlich ihren Champion: Der aktuelle Tabellenführer der Berlin-Liga Türkiyemspor Berlin behielt am Sonntag in einem packenden und Kräfte zehrendem Finale gegen den ersten Anzug des Regionalligisten 1. FC Union Berlin mit 3:1 die Oberhand. Schöner Budenzauber war insgesamt Trumpf in der Schöneberger Sporthalle. Und viele Spielerinnen probierten die Krone der Hallenkönigin 2020 an, am besten passte sie aber Sanna El-Agha.
Zwischen blauer Hose und weißen Stutzen ist keine Haut zu sehen. Die krausen Haare hochgesteckt, scheint es, als watschele die 32-jährige Stürmerin dem Ball immer nur so ein bisschen hinterher, wenn der Gegner ihn zirkulieren lässt. Deshalb, und weil der Fokus der Zuschauer zumeist auf Aylin Yaren und Erika Szuh, beide einst im Profi-Biz aktiv, oder den jungen Talenten der Kreuzbergerinnen liegt, könnte man Sanna El-Agha tatsächlich unterschätzen. Doch der Schein trügt, stets lauert sie während der Arbeit gegen den Ball auf einen Fehler und wenn der Ballbesitz zu Türkiyemspor wechselt, brennt dank ihr vor des Gegners Kiste ohnehin die Luft. Seit dem Endspiel bei den Hallenmasters weiß Union ein Lied davon zu singen. El-Agha machte binnen kürzester Zeit zwei herrliche Treffer zum 2:1 und 3:1 und damit aus einem heiß umkämpften Match eine klare Angelegenheit.
„Am besten ist sie, wenn sie wütend ist!“
Ihr Trainer Murat Dogan sagte nach dem Turniersieg, den ein übrigens ein richtig dicker Fanblock ausgelassen feierte: “ Am besten ist sie, wenn sie wütend ist.“ Sanna sagte dazu: „Das stimmt.“ Im Falle des Masters-Finales sei sie aber keinesfalls wütend auf irgendeine Person gewesen, sondern auf den Umstand, dass Türkiyemspor nach der Unioner Führung erlahmte. „Es ging nichts vorwärts und deshalb habe ich in der Pause zur Mannschaft gesagt: Was ist denn los? Wir haben noch eine Halbzeit, bleibt mal cool, wir biegen das noch um.“ Erika Szuh musste sie nicht großartig überzeugen, anders war deren Gefühlsausbruch nicht zu erklären, nach dem sie mit einem wuchtigen Schuss den Ausgleich markiert hatte. Zwei geballte Fäuste von sich gereckt, wurde ihr Gebrüll nur vom Jubel des Türkiyemspor-Anhangs übertönt. „Fußball ist Emotion“, sagte sie nach dem Spiel lachend. Das musste einfach raus!“

Danach überschlugen sich die Ereignisse. Warum El-Agha nur Sekunden nach dem Ausgleich auf der rechten Seite blank gespielt werden konnte, bleibt das Geheimnis von Union. Eine andere Spielerin wäre vielleicht erschrocken ob derart viel Bewegungsfreiheit. El-Agha versteht so etwas als Einladung, die einfach nicht ausgeschlagen werden darf. Zwei, drei Meter trieb sie das Spielgerät noch, ehe sie es fachgerecht in der linken unteren Ecke des Eisernen-Kastens verstaute. Die Halle stand nun Kopf, dabei hatte die Vollblut-Stürmerin noch gar nicht die Kirsche auf die Sahne des Masters-Kuchens gelegt.
Das Beste kommt zum Schluss
Auf der linken Seite kam sie vielleicht eine Minute später in der Mitte der Unioner Hälfte an den Ball, mit dem Rücken zum Tor. Von zwei Seiten attackiert, drehte sie sich blitzschnell um die eigene Achse in Richtung Tor, zog die Kugel dabei mit der Sohle an den Füßen der Gegnerinnen vorbei. Den brillanten Move krönte sie mit einem Prachtschuss zum 3:1 in den rechten oberen Giebel – die Messe war gelesen. Das Kabinettstückchen kommentierte sie nach dem Abpfiff so: „Ich denke dabei nicht nach, das passiert einfach.“ Im Shoot-Out sicherte sich El-Agha dann noch im Vergleich mit Marta Stodulska von Union und Antonia Heinrich von Hohen Neuendorf die Torjägerkrone – es war einfach ihr Tag.
Früher kickte Sanna El-Agha für den BSV Al-Dersimspor in der Regionalliga. Als die Frauenabteilung nach der Saison 2014 aufgelöst werden musste, wechselte sie zum damaligen Landesligisten Türkiyemspor und darf wegen ihrer unzähligen Tore sicher als ein wichtiges Stück im Erfolgs-Puzzle der Kreuzbergerinnen bezeichnet werden. Seit einigen Jahren kann sie nicht mehr so häufig trainieren und spielen, wie sie es gerne tun würde, weil sie sich zuhause um ihre kranke Mutter kümmert. „Alles nicht so leicht“, sagt sie, „nicht nur hinsichtlich des Fußballs.“

Foto: Matthias Vogel
Dogan ist froh, dass sie trotzdem noch aufläuft. Mit Recht: Unter freiem Himmel bekommt das Spiel der Kreuzbergerinnen dann nämlich sofort eine ganz andere Note: Ball festmachen und verteilen an vorderster Front ist mit „Susu“, wie El-Agha von ihren Teammates genannt wird, dann Standard, dazu ist sie selber immer für mindestens zwei Tore gut. Für sie selber ist der Fußball natürlich Ventil, er gibt ihr die Gelegenheit, durchzuschnaufen, auf andere Gedanken zu kommen. „Aber nicht immer, manchmal empfinde ich es auch als Stress“, sagt sie. Das gilt freilich nicht, wenn Dogan zum Budenzauber bittet. „Ich liebe Hallenfussball. “
Die Masters hatten in diesem Jahr alles zu bieten, was man sich wünschen kann. Im FC Viktoria 1889 und dem 1. FC Union Berlin zwei Regionalligisten, die ihrer Favoritenrolle gerecht wurden und sich – mit dem besseren Ende für Union – um den Einzug ins Finale ein packendes Neunmeter-Schießen lieferten, im Landesliga-Vertreter Viktoria Mitte einen überraschenden aber verdienten Turnier-Vierten und einen Turniersieger, der in der Qualifikation fast die Teilnahme an den Masters verspielt hätte. Insgesamt war das Niveau recht hoch und die Partien häufiger ausgeglichen, als es zu erwarten stand. Dazu gab es nicht nur im Finale sehenswerte Treffer, etwa die fast deckungsgleichen Kunstschüsse von Beslinda Shigjeqi (FC Viktoria 1889) und Marta Stodulska (Union), die beide ein langes Zuspiel direkt für einen gefühlvollen Heber aus der Drehung über die Torhüterinnen hinweg nutzten. Unions Marie Weidt wurde zur besten Spielerin gekürt, Christina Kerkenpass von Viktoria Mitte zur besten Torhüterin.
Die beste Geschichte schrieb aber „Susu“ El-Agha, mit der man einfach nur mitfeiern mochte und der man die Rasenperlen-Krone einfach gönnen darf. Auch weil sie sich selber nicht zu ernst nimmt. „Beim Seitenwechsel hat mir der Mann hinter der Theke im Foyer zugerufen, ich möge doch jetzt bitte noch ein Tor schießen. Da war ich natürlich in der Pflicht.“ Weil sie eben schon 32 sei, könnten das übrigens ihre letzten Masters gewesen sein, sagt sie. Wer’s glaubt, wird selig.
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