Flug ins Ungewisse

von Matthias Vogel

Die Fußballerinnen des FC Viktoria 1889 Berlin mussten über den Saisonwechsel hinweg einen Umbruch verarbeiten. Am morgigen Sonntag, 4. August (Anstoß 14 Uhr), wird sich herausstellen, wie gut ihnen das gelungen ist. In der ersten Runde des DFB-Pokals tritt die Equipe des Trainers Roman Rießler bei Borussia Bocholt an, dem amtierenden Vizemeister der Regionalliga West.

Morgens um 8.30 Uhr steigen die Himmelblauen in den Flieger, um zu dem Auswärtsspiel zu düsen – das erste Mal in der Vereinsgeschichte. Gelandet, geht es mit Mietwagen weiter. Ein Aufwand, der betrieben werden muss und der einen nur ungern mit leeren Händen die Heimreise antreten lassen würde. „Alles reinhauen“ muss also die große Überschrift über das erste Highlight der Saison lauten. Wie die Karten für die Viktoria dabei tatsächlich stehen, hängt zum einen davon ab, was sich bei den Gastgeberinnen getan hat. „Es ist ja wertlos, sich über die Leistungsstärke des Gegners der vergangenen Saison ein Bild zu machen. Womöglich hat sich auch bei denen das Personal-Karussell ordentlich gedreht“, sagt Viktorias Co-Coach Andreas Purps.

„Alles reinhauen!“

Das eigene Vermögen ist die zweite Kenngröße, und da haben die Ergebnisse der Testspiele während des jüngst abgehaltenen Trainingslagers dem Viki-Coach die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben. Eine 0:7-Abfuhr handelte sich seine Truppe gegen den zweiten Anzug des VfL Wolfsburg ein. Durchaus ein Fingerzeig, denn im vergangenen Jahr hatte man den Profis aus der VW-Stadt immerhin ein 1:2 abgetrotzt. Richtig zu schaffen machte ihm aber das 4:4 gegen den Regionalligisten Hannover 96: „Wir sind schon 3:0 vorne, so einen Vorsprung dürfen wir einfach nicht aus der Hand geben“, so Rießler.

Corinna Statz kann an einem guten Tag den Unterschied für Viktoria ausmachen. Foto: Matthias Vogel

Vor diesen beiden Ergebnissen hatte der Viki-Coach der Fußballwoche als Saisonziel noch Platz 1 bis 3 durchgeben, „jetzt bin ich mir da ehrlich gesagt nicht mehr so sicher.“ Des Trainers Zweifel resultieren aus der derzeitigen Großwetterlage am Ostpreußendamm. Einige Leistungsträger stehen ihm nicht mehr zur Verfügung und die beiden Ergebnisse haben das Fragezeichen wachsen lassen, ob die Neuzugänge die Lücken schließen können. Gerade die Fußstapfen von Torhüterin Inga Buchholz, die in die Zweite Liga zu Turbine Potsdam II wechselte, könnten für Julia Haake, Antonia Dimmig oder Neuzugang Ronja Faulhaber (SFC Stern) zu groß sein. Genauso schwierig dürfte es sein, Spielgestalterin Eyline Jakubowski zu ersetzen, die sich für eine Pause vom Fußball entschieden hat. Sturm-Ikone Anja Kähler hat bekanntlich ihre Laufbahn beendet und nimmt man noch Hülya Kaja dazu, die zur Winterpause überraschend zu Türkiyemspor wechselte, fehlen dem in der Hinrunde der abgelaufenen Saison so stabilen, ausgereiften und brandgefährlichen Spiel der Viktoria vier mächtig dicke Säulen.

Der Ball ist ihr Freund und torgefährlich ist sie sowieso: Belinda Shigjeqi kickt in Bocholt an vorderster Front. Foto: Matthias Vogel

Beirren lässt sich Rießler nicht, im Gegenteil, ihm macht die Arbeit als Viki-Coach immer noch großen Spaß, so sagt er. Er sieht sich nun einfach als Trainer stärker gefordert als zuletzt, als es meistens wie von selber lief. Einfach hatte er es aber bislang tatsächlich nicht, ein neues Spitzenteam zu formen. Der ohnehin nicht besonders breite Kader wurde während der Vorbereitung dünner und dünner. Die beiden hoffnungsvollen Neuzugänge Vanessa Lux (SFC Stern 1900) und Luisa Buchwalder (Hohen Neuendorf) sind schon länger verletzt, Franziska Schulte stößt nach ihrer Knie-OP erst in der Rückrunde zum Team. Dazu erwischte es Jessica Purps, Urgestein und Abwehrbank, im Trainingslager mit einer schweren Knieverletzung übel. Youngster Diana Steinmeyer plagt seit dem Intensivwochenende eine Achillessehnenreizung, Dilara Agac und Danya Barsalona weilen noch im Urlaub.

Durchaus noch schlagkräftig: Die Viktoria

Kein Schatten ohne Licht, Selina Grosch (Hohen Neuendorf) erwies sich als echte Verstärkung, bei Stürmerin Kimberly Zietz (HSV) und Außenverteidigerin Nadine König zeigt die Formkurve nach oben und auch Neuzugang Anina Sange (SFC Stern 1900) wird morgen in der Startelf stehen. Stefanie Gerken ist nach ihrer Babypause wieder am Start und ist auf der „Sechs“ schon wieder fast die Alte. Leistungsträger wie Marlies Sänger, Tatjana Fandre, Corinna Statz, Luise Trapp und Belinda Shigjeqi sind bis in die Haarspitzen motiviert und dann wäre da noch die erst 18-jährige Sara Allouch, die vom Landesligisten Moabiter FSV kam und das Vertrauen von Rießler, die komplette Vorbereitung bei der ersten Garnitur mitmachen zu dürfen, absolut gerechtfertigt hat. „Sie hat den großen Werkzeugkoffer dabei, muss aber noch lernen, wann sie welches Werkzeug auspackt“, so der Coach. Jedenfalls sitzt sie mit im Flieger und weil die Personaldecke gerade nur Papierstärke hat, holte Rießler auch noch Paula Eigenberger aus der Zweiten mit an Bord.

Tiefer Schock für sie und die Mannschaft: Im Trainingslager verletzte sich Jessica Purps schwer am Knie. Foto: Matthias Vogel

In Bocholt wird die Viktoria laut Rießler so agieren, wie sie das gegen die Schwergewichte der Regionalliga auch tun wird. Sie wird sich abwartend verhalten mit dem Hauptaugenmerk auf der Defensive. Dann, wenn klar ist, wie stark die Borussia ist, wird sie sich je nachdem auf das Setzen der berühmten Nadelstiche beschränken oder das Heft selbst in die Hand nehmen. „Wir müssen in dieser Saison flexibler sein. In der vergangenen Saison hat uns die bedingungslose Offensive meistens als Rezept gereicht, das wird jetzt definitiv nicht mehr so sein“, sagt Rießler.

Erst die schwere Aufgabe im Pokal, danach ein letzter Test gegen die hauseigene Reserve, und dann geht auch schon die Meisterschaft los. Der Pokalfight im Ruhrpott als Richtungsweiser? Rießler wird es so sehen. Ein Flug für die Katz‘ würde einen Fehlstart gegen Erzgebirge Aue am Sonntag, 18. August, sicher eher begünstigen. „Und dann wären wir im zweiten Spiel gegen Union schon enorm unter Druck, wenn wir vorne mitspielen wollen“, sagt er. Mit einem Sieg hingegen wäre sicher für reichlich Rückenwind gesorgt.

Der FC Bayern in der zweiten Runde, das wär‘ doch was!

Langzeitfolgen hin oder her. Morgen werden die Viki-Girls erst einmal das Spiel genießen und alle im himmelblauen Lager werden sich nichts sehnlicher wünschen, als einmal die zweite Runde im DFB-Pokal zu erreichen. Co-Trainer Andreas Purps sagt, was ihm dann so vorschweben würde: „Der FC Bayern München zu Gast im Stadion Lichterfelde, das wäre doch mal wieder eine Geschichte.“

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von Anders Noren.

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