Wollen die Viki-Girls ihre Top-Vorrunde mit dem Aufstieg krönen, müssen sie mit dem Rückrunden-Anpfiff ihr ganzes Potenzial abrufen
von Matthias Vogel
Lichterfelde. Ballbesitz-Übung auf dem Trainingsgelände, der Pass in die Tiefe ist Trumpf. Besuch des Schnelligkeitszentrums um die Ecke, Athletiktraining in der Adidas Base in Moabit, Test bei den Reserve-Turbinen. Die Vorbereitung des verlustpunktfreien Tabellenführers der Frauen-Regionalliga Nordost, FC Viktoria 1889 Berlin, auf den Aufstieg in die 2. Bundesliga war anstrengend, jetzt neigt sie sich dem Ende. Was hat das Team in der Vorrunde so stark gemacht? Und worauf kommt es jetzt an? Lest doch!
Du hörst die Sängerin, glasklare Stimme, der Refrain geht gut ins Ohr und nicht mehr aus dem Kopf? Ist sie alleine für den Erfolg der Band in den Charts verantwortlich? Natürlich nicht. Wer hat den Song komponiert? Ist es nicht die Line des Bassisten, die einen unterschwellig fesselt? Zum großen Ganzen gehören immer – egal welches Metier – sehr viele Faktoren. So ist es auch Im Fußball und auch bei den Regionalliga-Fußballerinnen des FC Viktoria. Und manchmal ist es nicht leicht, diese Faktoren beim Namen zu nennen. Roman Rießler, Trainer der Viki-Girls und damit der Architekt des Erfolges, bekommt es hin. Aber er muss schon auch überlegen. Eine Vorrunde zu kicken, in der man immer als Sieger vom Platz geht, meistens sogar ungefährdet, das kommt unabhängig von der Spielklasse nicht häufig vor. Noch weniger in höheren Gefilden.

„Die Mischung passt“, sagt er schließlich. Die aus jung und alt meint er, die aus unbekümmert und erfahren – der erste Faktor von einigen. Qualitätszuwachs heißt ein weiterer. Inga Buchholz im Kasten, zu Saisonbeginn vom Liga-Konkurrenten Hohen Neuendorf nach Lichterfelde gewechselt, sei wenigstens die Beste der Liga, wenn nicht mehr. Und Louise Trapp: ein echter Glücksgriff. Eine aus dem Talentschuppen von Turbine Potsdam, die eigentlich zu Viktoria kam, um es ruhiger angehen zu lassen, auch weil es im Knie zwickte. Jetzt ist die pfeilschnelle Flügelspielerin kaum noch aus dem Team zu denken und Rießler schwärmt: „Also die macht schon verdammt viel richtig.“ Es gibt mehr Puzzlestücke. Rießler hat genau hingesehen, um sie auszumachen. Selbst Stützen wie Capitana Marlies Sänger, Jessica Purps oder Tatjana Fandre hätten sich weiter verbessert, habe er beispielsweise entdeckt. Und: Wer von der Bank kam, habe stets sein Soll erfüllt oder sich sogar in die Stamm-Elf gespielt. So wie Belinda Shiqjequi, die es vom Joker auf die Sturm-Setzliste schaffte und bislang achtmal ins Schwarze traf. Und dann gibt es ja noch Eyline Jakubowski. In der Rückrunde vergangener Saison wegen eines überstandenen Kreuzbandrisses noch sparsam eingesetzt, hat sich die ehemalige Union-Spielerin auf der Kommando-Brücke im Mittelfeld längst unverzichtbar gemacht.
Basics statt übertriebener taktischer Raffinesse
Um im Bild eines populären Liedes und beim Erfolgsanteil des Komponisten oder Dirigenten zu bleiben: Rießler spielt in Zeiten, in denen es scheint, als müsste es für jede Minute, jede Situation eines Spiels und jeden Move des Gegners eine perfekte Gegen-Komposition des gesamten eigenen Teams geben – am besten schon in der Kreisliga B -, altbewährte Melodien. „Eigentlich habe ich unser Training in dieser Saison zurückgefahren“, sagt er. Freilich nicht bezüglich Intensität, doch statt übertriebener taktischer Raffinesse ließ er lieber Basics pauken: Ballan- und -mitnahme, Passqualität, Zweikampfverhalten. „Ich will mir da keine goldene Kette umhängen aber ich bilde mir ein, das hat unser Spiel noch einen Tick schneller gemacht.“

Zudem darf nicht verschwiegen werden, dass die Viktoria über einige Spielerinnen verfügt, die einfach auch mal ein Spiel entscheiden können, wenn es nicht so läuft. In den vorletzten beiden Spielen vor der Winterpause etwa lieferte Routinier Anja Kähler, schon ewig beim Verein und mit Viktoria schon einmal in der Zweiten Bundeliga unterwegs, ab, als es am nötigsten war. Im zähen Vergleich mit dem USV Jena II erzielte sie das Tor des Tages. Und als Rießler Kellerkind 1. FFC Fortuna Dresden auf dessen Geläuf standesgemäß demontieren lassen wollte – wegen der Außenwirkung und so -, verspeiste Kähler den Wurm, der im Viki-Spiel steckte, mal eben mit Haut und Haaren. Ihr gelangen nach der Pause eine schwierige Bude aus spitzem Winkel aber kurzer Distanz, ein Elfmetertor und ein Prachtschuss aus fast 30 Metern in den Knick, am Ende hieß es 5:0. Rießler: „Das hilft einem schon enorm, wenn da vorne jemand steht, der auch aus dem Nichts mal eine Bude macht.“ Die verlässliche Torjägerin lässt das Treffen nicht wie eine Katze das Mausen, doch zum Aufstieg hat sie wegen ihres lädierten Körpers ein gespaltetes Verhältnis: „Das wäre sportlich schon sehr reizvoll, allerdings würde mein Knie das nicht mehr mitmachen.“
Hülya Kaya verlässt den Verein – ein herber Verlust
Eine dieser Schlüsselspielerinnen wäre auch weiterhin Hülya Kaya gewesen. Doch so viel Licht sie bis zu ihrer Verletzung beim Tabellenführer nicht nur wegen ihrer elf Kisten ausstrahlte, so viel Schatten wirft ihre Entscheidung, den Verein zur Winterpause zu verlassen, auf das Stadion am Ostpreußendamm. Kaya wird irgendwann auf dem Spielberichtsbogen des Verbandsligisten Türkiyemspor auftauchen, zum Leidwesen Rießlers. „Kopfballstark, torgefährlich, Hülya war eine unheimlich wichtige Spielerin, die die Rolle als Sechser hervorragend interpretiert hat. Wir können sie wohl nur mit vereinten Kräften ersetzen.“

Eine umfangreiche Testspielreihe hat Rießler auf die Beine gestellt. Gegen die Zweite von Turbine Potsdam setzte es nach dem 5:0-Sieg gegen die eigene Reserve ein 2:5, Rießler war mit der Leistung aber zufrieden. Drei Spiele gegen Junioren-Teams des eigenen Clubs folgten, dazu gab es einen überzeugenden 5:0-Sieg gegen einen dezimierten Ligakonkurrenten FC Stern 1900. Der überzeugendste Auftritt während der Vorbereitung gelang den Viki-Girls im Pokal gegen Berolina Mitte. Wie ein Tsunami fegten die Lichterfelderinnen über den Berlin-Ligisten hinweg und gewannen mit 9:0.

Die erfolgreiche Vorrunde bescherte den Viki-Girls einen Bericht in der Hochglanzzeitschrift „FFussball – Das Frauenfußball Magazin“ und einen professionellen Werbespot. „Diese Aufmerksamkeit ist neu für uns. Wir standen früher immer im Schatten von Union, Hohen Neuendorf oder Lübars. Das freut uns sehr“, sagt Anja Kähler. Die Gefahr abzuheben, sieht sie indes nicht. „Es ist zwar auch für mich nach all den Jahren sehr beeindruckend, ohne Punktverlust an der Spitze zu stehen, das hatten wir ja auch noch nie. Aber irgendwie herrscht bei uns eine gewisse Selbstverständlichkeit, jede Partie konzentriert anzugehen und unser Spiel zu machen, ohne dabei überheblich zu werden.“
„Wer seine Nerven besser im Zaum hat, gewinnt“
Das dürfte Rießler gerne lesen, denn er will rauf in die Zweite Liga. Und ein Bein könnte seine Mannschaft schon nach den ersten drei Wochen der Rückrunde dort hineinstellen. Am kommenden Sonntag, 3. März, geht es zu Tabellendritten RB Leipzig (Anpfiff 14 Uhr), die Woche drauf gastiert der Fünfte Hohen Neuendorf im heimischen Stadion Lichterfelde und sieben Tage später kommt der ärgste Verfolger 1. FC Union Berlin in den Kiez. „Wenn du diese drei Spiele gewinnst, bist du ja schon fast durch“, sagt Rießler. Gerade der Trip nach Leipzig wird aber alles anderem als einer Kaffeefahrt gleichen. „Ich glaube, wir können uns dort nur selber schlagen. Wir dürfen uns von der Unruhe, die da von außen hinein getragen wird, nicht beeindrucken lassen und wenn wir mit dem frühen Anlaufen der Leipzigerinnen nicht klar kommen, auch mal den unpopulären langen Ball spielen“, sagt Rießler. Der Viktoria-Coach hat auf der Reise nach Leipzig den immer besser in Fahrt kommenden Neuzugang Corinna Statz (Turbine II) und sonst auch alle im Gepäck, nur hinter dem Einsatz von Offensivkraft Dilara Türk steht ein Fragezeichen, sie war im Test gegen Stern umgeknickt. „Wer seine Nerven besser im Zaum hat, gewinnt“, kommentierte Rießler das Spitzenspiel.
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