Die Traumhüterin

von Matthias Vogel

Sie stand noch in der vergangenen Saison zwischen den Pfosten eines Regionalligisten, ist seit sieben Jahren als Jugendtrainerin tätig und lädt nun von Berufswegen die Mädchen- und Frauenfußball-Teams der Stadt dazu ein, freitags ein professionelles Training zu absolvieren. Das alles macht Nathalie Kennin zur Berliner Rasenperle des Monats Dezember 2018.  

Vielleicht würde die 22-Jährige heute noch im Kader und damit ab und an in der Kiste des Regionalligisten FC Viktoria 1889 Berlin stehen, wenn sie sich damals als „Nummer 1“ hätte durchsetzen können. Eine Saison lang hatte sie alles auf die Karte Fußball gesetzt, trainiert wie besessen, doch am Ende gelang es ihr nicht, sich zu etablieren und so beschloss sie Ende vergangener Saison, ihre aktive Karriere zu beenden. “Ich hasse es zu verlieren, sei es den Konkurrenzkampf um eine Position oder einfach ,nur‘ ein Fußballspiel”, sagt sie. Immerhin trat sie aber als Berliner Pokalsieger von der Amateur-Fußball-Bühne ab, beim 4:1-Finalsieg gegen Blau-Weiß 90 Berlin stand sie im Kasten der Viki-Girls, genauso wie während dem letzten halben Dutzend Regionalliga-Spiele der Saison 2017/2018.  

Hütete in der vergangenen Saison noch das Tor der Viktoria, und nicht ihren beruflichen Traum: Nathalie Kennin. Foto: N. Kennin

Aufmerksame Beobachter des Berlin-Liga-Geschehens zogen dann am siebten Spieltag der laufenden Saison überrascht die Augenbrauen himmelwärts, denn Nathalie Kennin lief für den FC Internationale im Heimspiel gegen Borussia Pankow auf (1:2) – wohlgemerkt als Feldspielerin. „Inter ist meine Heimat. Wenn Not am Mann ist, helfe ich aus.“ Sie heftet das unter der Rubrik „Etwas zurückgeben“ ab. In dem Kontext lohnt sich ein Ausflug in die Geschichte von Kennin. Mit dem Fußballspielen hat sie beim BSV Grün-Weiß Neukölln begonnen. Ihre Erinnerungen daran sind nicht die besten. „Ich habe mich auf dem Platz unmöglich benommen“, sagt sie. Das hörte auf, als sie zusammen mit ihrer Schwester zu Inter wechselte. „Die Trainer dort haben mich richtig erzogen. Dazu hatte ich niemanden mehr, der meinen Blödsinn mitgemacht hat.“ Für diese Zeit ist sie dem Verein bis heute dankbar. Schnell wechselte sie ins Tor, wurde ob ihres Talents auf dieser Position genauso schnell zu den Frauen hochgezogen und stand im Tor der Schönebergerinnen, bis sie eben die sportliche Herausforderung bei Viktoria suchte. Eigentlich müsste sie um der Nehmen-Geben-Bilanz Willen nicht mehr kicken für die Verbandsliga-Elf. Seit sieben Jahren trainiert sie die D-Juniorinnen des Clubs. Eine Schuld wäre also längst beglichen.

Ein Telefonat, das Kennins Leben auf links zog

Möglicher Weise war diese, durchaus erfolgreiche Arbeit an der Basis – immer wieder mal konnte sie eine ihrer Spielerinnen in der Verbandsauswahl platzieren – auch der Grund, warum eines Tages das Telefon bimmelte und Kennin ein Gespräch hatte, das ihr Leben mal eben auf links zog. “Adidas hat angerufen und mir angeboten, Teil eines Mentoren-Programms, dem „360-Programm“, zu werden”, berichtet Nathalie Kennin. Sie kam schwer ins Grübeln. Für eine Studentin des Gangs „Sport und Sonderpädagogik auf Lehramt“ war der Verdienst an der Kaufland-Kasse nicht schlecht. Sie entschied sich dennoch für die Offerte und – bereut bis heute nichts. Zwei Monate lang wurde sie als Mentorin ausgebildet, arbeitete mit Sportpsychologen und Fußball-Koryphäen wie Matthias Sammer zusammen. „Und dann ging es los. Wir haben zu fünft drei Monate lang 20 Talente gefördert, jeder Mentor hatte vier unter seinen Fittichen. Fußballerisch und schulisch, dazu haben wir immer geschaut, wie geht es den Kindern im Leben. Das wurde begleitet und gefilmt, so dass ich heute auch etwas in der Hand habe. Insgesamt sehr spannend“, sagt Kennin.  

Keine typische Fußballerin, oder doch? Jedenfalls kann Nathalie Kennin auch ohne Verein und feste Trainingszeiten gut leben. Foto: N. Kennin

Nach den drei Monaten überschlugen sich die Ereignisse. Adidas wollte die Zusammenarbeit verlängern. „Sie haben mich angerufen und gefragt, was ich mir für die Förderung des Mädchen- und Frauenfußballs vorstellen könnte. Der Konzern wollte Fußballerinnen Trainingszeiten in der Base geben und ich durfte die Orga dafür übernehmen.” Kennin übernahm, ihr Arbeitgeber war zufrieden und so bekam sie ein festes Zeitfenster immer freitags abends. Seither lädt sie ganze Clubs und einzelne Teams dazu ein, ein professionelles Training zu absolvieren. Auch dafür schreibt sie dann die Pläne und organisiert den Ablauf an den verschiedenen Stationen. „Manchmal kommen schon sehr großen Gruppen. Hertha Zehlendorf war mit 80 Mädchen und Frauen hier. Dann muss man splitten und während die einen kicken, machen die anderen eben ein Athletik-Training. So muss man sich das vorstellen.“ Kurz vor Weihnachten lief die Tango League in dem modernen Soccer-Tempel in Moabit – ein Turnier von in jeweiliger Eigenregie zusammengestellten Frauenteams, die sich anmelden konnten. Dem Vernehmen war der Event ein großer Erfolg. Und auch Kennin und ihr Team waren hoch zufrieden: “Das Niveau war großartig. Viele Vereinsspielerinnen und sogar ehemalige Bundesliga-Kickerinnen waren am Ball.”

„Die Leute nehmen mich als Gesicht der Marke wahr. Verrückt!“

Der Ärger, es als Torhüterin nicht in sportlich höhere Gefilde geschafft zu haben, ist längst verflogen. „Wenn ich ehrlich bin, haben mich die blauen Flecken an den Beinen schon genervt und abseits vom Feld gehe ich auch sehr gerne mit meiner Handtasche am Arm in der Beauty-Abteilung shoppen. Und wenn ich zocken will, dann gehe ich irgendwo auf den Platz und mache das“, sagt Kennin und lacht. Sie wirkt glücklich, dort auf der Tribüne der Base. „Das bin ich auch. Ich genieße die positive Atmosphäre in der Arbeit und es scheint, als wäre das hier echt ein Sprungbrett für mich. Die Leute nehmen mich jetzt schon als ein Gesicht der Marke wahr. Und das nach der kurzen Zeit. Verrückt!“ Kürzlich hat sie die DFB-B-Lizenz eingetütet und im Moment bildet sie sich parallel zur Arbeit und zum Studium in den Bereichen Mental Coaching, Athletik-Training, Personal Training und zum Ernährungs-Coach weiter. Wohin die Reise für sie und ihre Karriere gehen soll oder kann, weiß sie nicht, dafür sei in den vergangenen eineinhalb Jahren alles viel zu schnell gegangen. „Ich studiere zwar auf Lehramt, könnte mir aber natürlich auch etwas im Sportbereich vorstellen”, sagt sie. 2019 steht aber zunächst einmal die Bachelor-Arbeit ganz oben auf der Agenda der 22-Jährigen.  

Als Jugendtrainerin möchte Nathalie Kennin ihren Spielerinnen vor allem etwas für das Leben mit auf den Weg geben. Foto und Titelbild: Michael Romacker

Nathalie Kennin ist ehrgeizig und das treibt sie an im Beruf, auf und neben dem Platz. Sonst könnte sie neben ihrem Job nicht auch noch die Hausarbeit für das Studium schaffen und die B-Lizenz erwerben. Auf ihre Arbeit als Jugendtrainerin möchte sie ihre Antriebsfeder nur bedingt übertragen. „Klar möchte ich gewinnen, wenn wir auf das Feld gehen. Aber ich arbeite eher daran, den Kindern etwas für’s Leben mitzugeben. Neulich kamen Eltern eines Mädchens zu mir, das vielleicht drei oder vier Monate bei uns im Verein war. Beim Elternsprechtag hatten sie von der Lehrerin erfahren, dass ihre Tochter einen enormen Schritt bezüglich ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstbewusstseins gemacht habe. So etwas ist doch einfach toll!“ 

Anmerkung: Die Überschrift ist mehr oder weniger geklaut. Es gibt ein top Buch namens „Der Traumhüter“, in dem der kometenhafte Aufstieg und leider auch der schnelle Fall des deutschen Keepers Lars Leese in der Premier League beschrieben ist. Ich finde die weibliche Version der Rubrik hier sehr passend, will mich aber nicht mit fremden Federn schmücken. Matze Vogel

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